Die Tücken der Mehrsprachigkeit

In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Zusammenarbeit in einer grösseren Gruppe einfacher gesagt denn getan. Ein Sinergia-Projekt zum Thema «Schulisches Wissen» hat die Herausforderung angenommen und gemeistert.

Dass Naturwissenschaftler in grossen Gruppen kooperieren, ist gang und gäbe, man denke etwa an das CERN: Zusammen arbeiten Hunderte von Forschenden auf ein bestimmtes Ziel hin. In den Geistesund Sozialwissenschaften ist diese Art von Kooperation seltener – und schwieriger.

Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nehmen sich tendenziell einen besonderen Gegenstand vor, den sie mit einer bestimmten Methode gründlich durchleuchten. Die Ergebnisse publizieren sie abschliessend in einer Monographie.

25 Forschende von 5 Hochschulen

Es gibt allerdings Ausnahmen, etwa das Forschungsprojekt «Die gesellschaftliche Konstruktion schulischen Wissens seit 1830», das seit 2013 durch das SNF-Instrument Sinergia gefördert wird und nun vor dem Abschluss steht. In diesem Projekt arbeiten rund 25 Sozialwissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen von fünf Hochschulen (von den Universitäten Zürich und Genf sowie den Pädagogischen Hochschulen Die Tücken der Mehrsprachigkeit In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Zusammenarbeit in einer grösseren Gruppe einfacher gesagt denn getan. Ein Sinergia-Projekt zum Thema «Schulisches Wissen» hat die Herausforderung angenommen und gemeistert. Zürich, Nordwestschweiz und Tessin) in drei Sprachen zusammen. Geht das überhaupt? «Es ist eine grosse Herausforderung », sagt der Bildungshistoriker Lucien Criblez von der Universität Zürich, der das Projekt leitet, «aber unter dem Strich ist die Bilanz positiv.»

Übersetzungsprobleme...

Die grösste Herausforderung ist die Sprache: als Verständigungsmittel, als Analyseinstrument – und als Untersuchungsobjekt. Die Gruppe trifft sich alle sechs Monate, wobei jede und jeder seine Sprache spricht. Da jedoch nicht alle Forschenden alle Sprachen verstehen, muss immer wieder übersetzt werden. Für ein Projekt, das sich mit der Geschichte der Lehrpläne und Unterrichtsinhalte in der Deutschschweiz, der Romandie und im Tessin beschäftigt, wäre die Lingua franca Englisch wenig sinnvoll, weil dadurch noch mehr Übersetzungsprobleme entstünden: «Man muss die Sprachgebundenheit des Forschungsgegenstands ernst nehmen», sagt Lucien Criblez. Er führt ein Beispiel an: Das in der Deutschschweiz lange unterrichtete Fach «Heimatkunde » gab es nur in dieser Sprachregion. Nur schon für die Fachbezeichnung existiert kein französisches Äquivalent. Es empfiehlt sich also, den deutschen Begriff im Französischen zu umschreiben. Die Übersetzung ins Englische würde die Sache unnötig komplizieren.

«Trotz den Herausforderungen der Vielfältigkeit lohnt sich die Zusammenarbeit.»

Lucien Criblez, Bildungshistoriker

Lohnende Zusammenarbeit

Kompliziert ist die Kollaboration manchmal auch wegen der unterschiedlichen Verwaltungs- und Forschungskulturen der Pädagogischen Hochschulen einerseits und der Universitäten andererseits. Rückblickend würde Lucien Criblez das Projekt weniger komplex und schlanker anlegen, dafür mit längerer Laufzeit. Trotz den Herausforderungen der Vielfältigkeit lohne sich jedoch die Zusammenarbeit: Die Forschenden hätten realisiert, dass die Ergebnisse nicht unabhängig vom Kultur- und Sprachraum interpretiert werden könnten. Das Projekt zeige etwa, dass der Literaturunterricht in der französischen und der deutschen Schweiz einen unterschiedlichen Stellenwert hatte oder dass das Tessin als einziger Kanton das Fach «Politische Bildung » führte. Er übernahm bis weit in das 20. Jahrhundert hinein seine Lehrmittel von Italien, weil er nicht in der Lage war, eigene zu produzieren.

Nun steht noch die nicht einfache Aufgabe der Publikation der Forschungsergebnisse an. Geplant ist entgegen den heutigen Usanzen je ein Band in deutscher und französischer Sprache – was wiederum aufwendige Übersetzungsarbeiten erfordert.