Gotische Spitzbögen im Fussboden

Wie können Ingenieure das Gewicht von Betonböden reduzieren und deren Umweltbilanz verbessern? Indem sie sich von Kathedralen inspirieren lassen, lautet die Antwort eines ETH-Professors, der die Baukunst neu erfinden will.

Die Methoden der Bauindustrie haben sich in den letzten 100 Jahren kaum weiterentwickelt», sagt Philippe Block, Professor für Technologie in der Architektur der ETH Zürich. «Wegen der Bevölkerungszunahme werden weltweit in den nächsten 40 Jahren jeden Monat Gebäude im Umfang von Manhattan erstellt.» Es sei deshalb absolut zentral, die Produktivität zu steigern und vor allem den Verbrauch an Ressourcen drastisch zu senken. «Denn die Bauindustrie ist für mehr als ein Drittel aller Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Sie hat bislang die Möglichkeiten der Digitalisierung nur wenig genutzt. Unsere Arbeit wird dazu beitragen, dass sich dies ändert.»

Der «architektonische Ingenieur» hat sich auf Bodenplatten aus Beton spezialisiert. Das klingt nicht spektakulär, doch die Böden entsprechen 40 Prozent des Gewichts eines hohen Gebäudes. Das Team von Philippe Block kreiert Bodenplatten mit dreimal weniger Beton und einem Zement, der halb so umweltbelastend ist. Die Kohlenstoffbilanz ist sechsmal besser.

Mit Leere gefüllt

Das Geheimnis? Die Gewölbe von gotischen Kathedralen. Die Betonböden sind von einem Netz aus Spitzbögen durchzogen, die durch den Computer berechnet und optimiert worden sind. Diese Bögen verteilen die Druckkräfte innerhalb des Materials besser. Die Betonböden sind sozusagen mit Leere gefüllt und deshalb viel leichter.

«Ein gleichförmiger Boden verbiegt sich immer in der Mitte», erklärt Philippe Block. «Dadurch entstehen Spannungen, die der Beton nur mit Stahlarmaturen aushält. Dank der integrierten Spitzbögen sind unsere Böden starr. Das vermindert die Kräfte, und wir können mit 70 Prozent weniger Material die gleiche Festigkeit erreichen.» In seinem Labor befindet sich ein mit 3D-Druck hergestellter Prototyp, der bei einer Dicke von zwei Zentimetern ein Gewicht von 1000 Kilogramm trägt. Die dünnen Bögen könnten aber von Hand zerbrochen werden.

400 Besuche pro Jahr

Philippe Block ist Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts «Digitale Fabrikation », der 2014 vom SNF lanciert wurde. In diesem Rahmen wird auch seine Arbeit zu den Betonböden finanziert. «Der Schwerpunkt ist weltweit einzigartig. Dank ihm können wir langfristige Forschung durchführen, die die Bauindustrie selber nie machen würde.» Mit seinem Team entwickelt er die Plattform COMPAS, die völlig digitalisierte Prozesse vom Entwurf einer Gebäudestruktur bis zur Fabrikation ermöglicht.

«Wir verzeichnen über 400 Besuche pro Jahr, viele davon aus der Industrie. Damit die Praxis unsere Lösungen übernimmt, müssen sie erschwinglich sein. Nur so können wir etwas verändern. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen.»