Fächerübergreifende Forschung wird immer wichtiger. Allerdings ist die gegenseitige fachliche und persönliche Verständigung in solchen Projekten anspruchsvoll. Wenn aber die Kommunikation stimmt, kann Bahnbrechendes gelingen.
Interdisziplinarität – das Schlagwort ist in der Wissenschaft seit Jahren allgegenwärtig. Politik und Hochschulen sind sich einig, dass Forschungsdisziplinen verstärkt zusammenarbeiten müssen. Nicht zuletzt, weil drängende Fragen unserer Zeit – von der Digitalisierung über Antibiotikaresistenzen bis zur Migration – äusserst komplex sind und unterschiedlichste Bereiche tangieren.
Doch während viel über neue Prozesse und Strukturen diskutiert wird, schaffen letztlich alleine die Forschenden in konkreten Projekten den Mehrwert der Interdisziplinarität.
Genau hier setzt das Förderprogramm Sinergia des SNF an: Es finanziert die Zusammenarbeit von jeweils zwei bis vier Forschungsgruppen aus verschiedenen Disziplinen und Institutionen, wenn Aussicht auf bahnbrechende Ergebnisse besteht. «Damit treiben wir die Integration der wissenschaftlichen Teilgebiete sehr konkret voran und nutzen dafür zwei Stärken der Schweizer Forschung, nämlich eine tief verankerte Bottom-up-Kultur und die Bereitschaft zur Kooperation», erklärt Dirk van der Marel, Vizepräsident des Fachausschusses Interdisziplinarität des SNF-Forschungsrats.
Jardena Puder, Endokrinologie, Universitätsspital Lausanne
Oskar Jenni, Entwicklungspädiatrie, Kinderspital Zürich
Susi Kriemler, Pädiatrische Sportmedizin, Universität Zürich
Simone Munsch, Klinische Psychologie, Universität Freiburg
In der Praxis stellen solche Projekte allerdings hohe Anforderungen an die Forschenden. So sei es nur schon anspruchsvoll, zu Beginn die Herangehensweisen und die Begrifflichkeiten aller Beteiligten zu klären und zu verstehen, sagt Gunter Stephan, Ökonom an der Universität Bern. Er hat in einem Sinergia-Projekt zusammen mit Hydrologen, Meteorologen und Politikwissenschaftlern verschiedener Universitäten untersucht, wie sich die Schweiz auf künftige klimatische Extremereignisse vorbereiten kann. Dabei berücksichtigten sie die Unsicherheit von Vorhersagen, die Vielfalt möglicher Anpassungsstrategien und die politische Machbarkeit von Massnahmen. «Ökonomen verstehen unter Effizienz etwas anderes als Umweltwissenschaftler», so Gunter Stephan. «Wir mussten deshalb zuallererst eine gemeinsame Sprache entwickeln.»
Ebenso wichtig sei es, bereits in der Entwurfsphase des Projekts genau auszuloten, was man zusammen leisten kann und was nicht. Dabei war Gunter Stephan überrascht vom Willen der anderen Projektverantwortlichen, wirklich Synergien zu finden und zu nutzen: «Alle haben förmlich darauf gedrängt, gemeinsam mehr zu erreichen, als jede Disziplin einzeln leisten könnte.»
Dieselbe Erfahrung hat auch Mathew Magimai- Doss gemacht, Computerwissenschaftler am Forschungsinstitut Idiap in Martigny. Zusammen mit Forschenden der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich und der britischen Universität Surrey entwickelt er ein System, das schweizerdeutsche Gebärdensprache automatisch erkennt und versteht. Es soll auch als Modell für andere Gebärdensprachen dienen. «Wir haben von der ersten Planungsphase an konsequent auf ein integriertes Projekt hingearbeitet», so Mathew Magimai-Doss. «Das ist zentral, sonst zerfällt das Ganze später in einzelne Unterprojekte, die dann jede Institution weitgehend isoliert durchführt.»
Selbstverständlich ist es nicht, dass sich Wissenschaftler auf das unvertraute Feld einer interdisziplinären Unternehmung einlassen. «In der Forschung wird sonst stark die Autonomie gefördert», meint Jardena Puder, Endokrinologin am Universitätsspital Lausanne. «Das ist für die Zusammenarbeit nicht immer vorteilhaft.» Deshalb war für Jardena Puder eine gute, von Toleranz und Respekt geprägte Kommunikation mit möglichen Projektbeteiligten entscheidend. Und sie wollte sich darauf verlassen können, dass diese nicht nur bei der Projekteingabe, sondern während der gesamten Forschungsphase dem gemeinsamen Ziel verpflichtet blieben.
Jardena Puder hat mit Psychologinnen, Bewegungswissenschaftlern und Kinderärztinnen an vier Universitätsspitälern erforscht, wie sich Stress und Bewegungsmangel auf die Gesundheit von Kindern auswirken – konkret auf die kognitiven Funktionen, das psychische Wohlbefinden, das Gewicht und die motorischen Fähigkeiten. «Damit so ein Projekt abhebt, müssen die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten stimmen», sagt sie.
Mathew Magimai-Doss, Computerwissenschaft, Forschungsinstitut Idiap, Martigny
Richard Bowden, Maschinelles Sehen/Maschinelles Lernen, Universität Surrey
Tobias Haug, Gebärdensprachlinguistik, Hochschule für Heilpädagogik, Zürich
Dieser Aussage schliessen sich sowohl Gunter Stephan wie Mathew Magimai-Doss vorbehaltlos an. Allerdings will der persönliche Austausch gepflegt werden, gerade wenn die Forschenden an weit auseinanderliegenden Orten tätig sind und sich noch nicht gekannt haben, wie es beim Projekt von Mathew Magimai-Doss der Fall ist. «Natürlich kommunizieren wir hauptsächlich per Mail, Telefon und Skype», sagt er, «aber für wichtige Entscheidungen muss man sich physisch treffen und von Angesicht zu Angesicht diskutieren.» Für Gunter Stephan bildet eine gute persönliche Beziehung nicht zuletzt auch die Grundlage, damit man mit Kritik konstruktiv umgehen und sie überhaupt anbringen kann. Gerade das sei für die Wissenschaft essenziell.
In Sinergia-Projekte sind jedoch nicht nur die Leiter der jeweiligen Forschungsgruppen jeder Institution involviert, sondern auch Doktorierende, Studierende und weitere Fachkräfte. «Es braucht viel Zeit und Willen, über all diese Ebenen hinweg eine gute Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen zu pflegen», sagt Jardena Puder. Oft stosse man auf unerwartete praktische oder konzeptuelle Herausforderungen, wo es sich zeige, wie stark jeder in seiner Disziplin verankert ist.
Dirk van der Marel sagt: «Uns ist klar, dass Interdisziplinarität in der Praxis ein schwieriges Unterfangen sein kann. Genau darum fördern wir sie gezielt in den Sinergia-Projekten.» Sowohl die Forschungsresultate als auch die beteiligten Forschenden bestätigen: Es lohnt sich. Interdisziplinäre Projekte erarbeiten Antworten auf die komplexen Fragen unserer Zeit.
Gunter Stephan, Volkswirtschaft, Universität Bern
Karin Ingold, Politikwissenschaft, Universität Bern
Frank Krysiak, Umweltökonomie, Universität Basel
Philippe Thalmann, Umweltökonomie, EPF Lausanne
Rolf Weingartner, Hydrologie, Universität Bern