«Für die Nutzung von
Big Data braucht es die
öffentliche Debatte»

Regierungen und Wirtschaft hoffen, dass sie dank Big Data ihre Dienstleistungen­ verbessern können. Der SNF hat ein neues Forschungs­programm lanciert, um hier Innovationen und ein breiteres Verständnis der gesellschaftlichen Bedeutung zu fördern.

Die Analyse grosser Datenmengen verspricht viele neue Anwendun­gen, wirft aber auch gesellschaftliche Fragen auf. Das Nationale Forschungsprogramm «Big Data» (NFP 75) befasst sich mit technischen Fragen zu Infrastruktur und Sicherheit, und es analysiert gesellschaftliche Herausforderungen und Fragen der Akzeptanz. Zudem erforscht es rechtliche und wirtschaftliche Aspekte. «Datenschutz ist öffentlich und offen zu diskutieren», sagt Christian S. Jensen, Präsident der NFP-Leitungsgruppe. «Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften sind entscheidend», ist der Informatiker von der Universität Aalborg überzeugt, der zuvor an den Universitäten von Aarhus (DK), Arizona und Maryland sowie für Google in San Francisco arbeitete.

Herr Jensen, wieso ist Big Data so wichtig?

Da kommen zwei Entwicklungen zusammen: die riesigen Mengen vorhandener Daten und die ungeheure Leistungsfähigkeit von Computern und Kommunika­tionsinfrastrukturen. Daraus entstehen neue Möglichkeiten, Daten für soziale und geschäftliche Zwecke zu nutzen. Big Data befasst sich mit grundlegenden technischen Fragen, in denen ein Anwendungspotenzial für verschiedenste Bereiche steckt.

Wo erwarten Sie den grössten Nutzen?

Es ist immer schwierig, Prognosen zu machen. Betroffen sind Bereiche, wo grosse Datenmengen erfasst werden: digitalisiertes Sozialleben, Einkaufen online und im Geschäft, E-Government, Logistik, Banken- und Versicherungswesen, Transport und Medizin.

Wo liegen die Herausforderungen?

Sicherlich bei der Datenmenge und der schnellen Datengenerierung. Auch ist es schwierig, aus heterogenen und manchmal unzuverlässigen Quellen Informationen zu extrahieren. Wir sollten zudem keine unerwünschten Technologien ein-führen bei Zielgruppen, die sich damit nicht wohlfühlen. Und nicht zuletzt: Daten sind wertvoll, und ihr Wert steigt mit zunehmender Verbreitung. Aber wie können wir die Eigentumsrechte schützen, wenn Geld im Spiel ist, und wie müsste ein Markt für Daten aussehen? Die Gesellschaft muss hier die richtige Balance von Datenaustausch und Datenschutz finden.

Und wenn der Datenschutz und dadurch die Privatsphäre in Gefahr sind?

Wir brauchen eine öffentliche Debatte, eine gut informierte Gesellschaft und Medien,­ die Big Data thematisieren. Vor allem bei jüngeren Leuten scheint die Akzeptanz­ für weniger Privatsphäre zu steigen. Die Leute sollten die Kontrolle über ihre Daten haben und wissen, wie ihre Daten eingesetzt werden, und diese auch wieder löschen können.

Daten scheinen Gold wert – sind unsere Erwartungen berechtigt?

Wenn wir einen Lebensbereich quantitativ erfassen, schenken wir ihm viel Aufmerksamkeit. So kann ein Schrittzähler uns im positiven Sinne dazu motivieren, mehr zu gehen. Gleichzeitig vernachlässigen wir aber andere, weniger gut quantifizierbare Bereiche, die aber vielleicht genauso wichtig sind. Die Konsequenzen einer daten­zentrierten Betrachtungsweise müssen daher kritisch hinterfragt werden.