«Ich hoffe, dass
die Jungen dem Rat
nicht folgen»

Leidenschaftlich forschen und nach Antworten – auch für scheinbar Unmögliches – suchen: Nicola Spaldin beschreibt, wie sie mit Erfolg vom empfohlenen akade­mischen Weg abgewichen ist.

Kürzlich bin ich erschrocken: Ich bin in meiner Laufbahn bereits an dem Punkt angelangt, wo junge Leute einen um Rat fragen. Meine pragmatische Seite sagt mir, dass ich den Studierenden das Gleiche sagen sollte, was man mir gesagt hat: Mach in einem etablierten Forschungsfeld solide Arbeit und publiziere möglichst viel. Damit wirst du in deiner Community bekannt und gewinnst Respekt. Hebe das riskante Zeug für später auf, wenn du eine sichere Position hast!

Aber tief in meinem Inneren hoffe ich, dass die Jungen diesen Rat nicht befolgen. Ich hoffe im Gegenteil, dass sie eine Frage finden, die sie nicht mehr loslässt und für sie zur wichtigsten Frage der Welt wird, und dass sie leidenschaftlich nach einer Antwort suchen und so ihre eigene wissenschaftliche Revolution starten.

«Bei meiner Arbeit habe ich immer die Entwicklung neuer Geräte und Technologien im Auge.»

Nicola Spaldin

So ist es mir mit den Multiferroika ergangen. In den 1990er Jahren galten magnetische Ferroelektrika – sie gehören zu den Stoffen der Multiferroika – als ein Ding der Unmöglichkeit: Niemand glaubte daran. Doch ich wollte wissen, ob das wirklich so sei, warf meinen Karriereplan in den Papierkorb und machte mich auf die Suche nach der Antwort. Ich hatte dabei zwei Vorteile: Die Theorie war weit genug gediehen, so dass ich virtuelle Materialien mit Computermodellen studieren konnte, und die National­ Science Foundation unterstützte mich.

Der Durchbruch glückte 2003: Zusammen mit Ramamoorthy Ramesh, der nun in Berkeley lehrt, gelang mir die Entwicklung des heute gebräuchlichsten Multiferroikums: Bismutferrit. Diesen Moment werde ich nie vergessen: Das Unmögliche war Realität geworden. Seither suche ich immer weiter nach Materialen mit Eigenschaften, die noch nicht existieren oder als nicht kombinierbar gelten. Mein Team und ich entwerfen diese Materialien am Computer, bevor wir sie, oft zusammen mit Kollegen des Paul Scherrer Instituts, im Labor entwickeln und ihre Eigenschaften studieren.

Bei meiner Arbeit habe ich immer die Entwicklung neuer Geräte und Technologien im Auge. Eines meiner Ziele ist es, einen Supraleiter zu bauen, der Elektrizität ohne Widerstand und bei Raumtemperatur trans­portiert. Eines Tages wird es mir gelingen.»

Nicola Spaldin, Körber-Preisträgerin 2015

Nicola Spaldin ist Professorin für Materialtheorie an der ETH Zürich. 2015 hat sie den mit 750’000 Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten. Die vom SNF unterstützte britische Chemikerin hat die theoretischen Grundlagen für die Entwicklung der Multiferroika gelegt. Dieses chemische Material besteht aus Metallen und Sauerstoff. Es reagiert sowohl auf elektrische als auch auf magnetische Felder. Die Multiferroika könnten die Informationstechnologien revolutionieren, indem sie das Silizium in den Chips ersetzen und dadurch die Konstruktion sehr kleiner und energieeffizienter Computer und Smartphones ermöglichen.